Donnerstag, 4. Juli 2013

Snowden, Deserteur im Propagandakrieg

Dieser Post, so möchte ich gleich voranstellen, entspringt nur der theoretischen Beschäftigung mit den angesprochenen Themen. Ich habe keine Erfahrung mit Geheimdiensten, PR- Agenturen oder irgendwie geartetes insiderwissen.

Aber wie der Science Fiction Author Philip K. Dick, habe ich ein Misstrauen gegenüber zu großer Macht und eine gehörige Portion Fantasie: 
 “Because today we live in a society in which spurious realities are manufactured by the media, by governments, by big corporations, by religious groups, political groups... So I ask, in my writing, What is real? Because unceasingly we are bombarded with pseudo-realities manufactured by very sophisticated people using very sophisticated electronic mechanisms. I do not distrust their motives; I distrust their power. They have a lot of it. And it is an astonishing power: that of creating whole universes, universes of the mind. I ought to know. I do the same thing.” Philip K. Dick
Wenn wir heute über Demokratie sprechen dann sprechen wir eigentlich über eine ganz spezifische Herrschaftsform (die sog. parlamentarische Demokratie). Wir assoziieren diese Herrschaftsform mit demokratischer Mitbestimmung ohne weiter darüber nachzudenken. Selten nur wird dies in Frage gestellt, noch seltener wird diskutiert ob nicht etwa andere Möglichkeiten einer gesellschaftlichen Organisation existieren die einem Ideal einer Demokrtie näher kommen.

Dabei war dieses Herrschaftssystem schon immer so entworfen, dass die Mitbestimmung des Volkes nur soweit gehen konnte, wie es die Elite erlaubte. "The Great Beast" so bezeichnete Alexander Hamilton, einer der Amerikanischen Verfassungsväter, das Wahlvolk. Das Volk sollte niemals wirklich unkontrolliert die Politik bestimmen. Der Einfluss dieses Misstrauens in das Volk ist in allen demokratischen Verfassungen zu finden.

Kritiker sprechen dieser Herrschaftsform daher ab eine Demokratie (in ihrer wissenschaftlichen Wortbedeutung) zu sein und nennen sie statt dessen Polyarchie, Oligarchie oder Plutokratie. Sie haben aber keine Chance die Öffentlichkeit zu erreichen. Den Wortsinn definieren andere.

Wer Kritik gegen einen öffentlichen Konsens übt, wird sich automatisch im gesellschaftlichen Abseits befinden, egal ob dieser Konsens demokratisch herbeigeführt oder künstlich geschaffen wurde. Noam Chomski beschreibt diese Schwierigkeit in seinem Film (und Buch) manufacturing consent:

Suppose I get on "Nightline". I'm given two minutes and I say Quaddafi is a terrorist or Khomeini is a murderer... I don't need any evidence, everybody just nods. On the other hand, suppose you say something that just isn't regurgitating conventional pieties... Suppose you say

 "The biggest international terror operations that are known are the ones that are run out of Washington", or suppose, you say "What happened in the 1980s is the US government was driven underground", suppose I say "The US is invading South Vietnam," as it was, or "The best political leaders are the ones that are lazy and corrupt", "If the Nuremberg laws were applied, then every post-war american president would have been hanged.", "The Bible is one of the most genocidal books in the total canon.", "Education is a system of imposed ignorance", "There is no more morality in world affairs, fundamentally, then there was at the time of Genghis Khan..."

"People will, quite reasonably, expect to know what you mean. Why did you say that ?... You'd better have a lot of evidence... But you can't give evidence if you're stuck with concision. That's the genius of this structural constraint. And in my view, people from Nightline and so on, if they were smarter, if they were better propagandists, they would let dissidents on, let them on more in fact. The reason is, that they would sound like they're from Neptune."
Noam Chomsky: Manufacturing Consent

Derjenige der bestimmt was die Mehrheit unter dem Wort "Demokratie" versteht ist damit automatisch "Demokrat". Er kann seine Interessen als "Demokratisch" definieren, da er selbst dafür gesorgt hat das die Bedeutung des Begriffes seine Interessen wiederspiegelt. Wer diesen Konsens in Frage stellt, in dem er zum Beispiel offen ein anderes demokratisches System propagiert, ist natürlich ein Dissident und ein Feind "der Demokratie". Er muss Beispielsweise vom Verfassungsschutz beobachtet werden.


“The basic tool for the manipulation of reality is the manipulation of words. If you can control the meaning of words, you can control the people who must use them.” Philip K. Dick

Genauso ist derjenige, der bestimmt was die Mehrheit unter dem Wort "Freiheit" versteht, automatisch liberal, womit jeder der diese Freiheit einschränken will automatisch diktatorisch wird. (z.B. durch Bankenregulierung, oder Abschaffung der Geheimdienste oder ihrer Privilgien).

Das Mittel mit dem (unter anderem) Wortbedeutungen in der Öffentlichkeit verankert, werden ist die Propaganda und ist das Gegenmittel der Eliten gegen die tatsächliche Mitbestimmung der Bevölkerung, also die Demokratie. So lange die Öffentlichkeit gezielt beeinflusst wird, werden wir einer wirklichen Demokratie niemals nahe kommen können.
„Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften. Organisationen, die im Verborgenen arbeiten, lenken die gesellschaftlichen Abläufe. Sie sind die eigentlichen Regierungen in unserem Land.

Wir werden von Personen regiert, deren Namen wir noch nie gehört haben. Sie beeinflussen unsere Meinungen, unseren Geschmack, unsere Gedanken. Doch das ist nicht überraschend, dieser Zustand ist nur eine logische Folge der Struktur unserer Demokratie: Wenn viele Menschen möglichst reibungslos in einer Gesellschaft zusammenleben sollen, sind Steuerungsprozesse dieser Art unumgänglich.

Die unsichtbaren Herrscher kennen sich auch untereinander meist nicht mit Namen. Die Mitglieder des Schattenkabinetts regieren uns wegen ihrer angeborenen Führungsqualitäten, ihrer Fähigkeit, der Gesellschaft dringend benötigte Impulse zu geben, und aufgrund der Schlüsselpositionen, die sie in der Gesellschaft einnehmen. Ob es uns gefällt oder nicht, Tatsache ist, dass wir in fast allen Aspekten des täglichen Lebens, ob in Wirtschaft oder Politik, unserem Sozialverhalten oder unseren ethischen Einstellungen, von einer (angesichts von 120 Millionen US-Bürgern) relativ kleinen Gruppe Menschen abhängig sind, die die meisten Abläufe und gesellschaftlichen Dynamiken von Massen verstehen. Sie steuern die öffentliche Meinung, stärken alte gesellschaftliche Kräfte und bedenken neue Wege, um die Welt zusammenzuhalten und zu führen.“ 
Edward Barneys "Propaganda" (1928)
Weder Barneys noch ich behaupten dabei, dass Propaganda die totale Kontrolle bedeutet. Barneys sieht keinen Widerspruch zwischen Propaganda und Demokratie, die Geschichte zeigt uns diesen Widerspruch allerdings deutlich auf. Joseph Goebbels hatte Edward Barneys Buch gründlich studiert.

In manchen Fällen hat Propaganda aber auch total versagt oder hat das Gegenteil dessen erreicht, was man eigentlich erreichen wollte. Manche Dinge lassen sich mit Propaganda nicht aus der Welt schaffen. Obwohl Barneys für die Tabakkonzerne arbeitete konnte nicht verhindert werden, dass die Bevölkerung über die Schädlichkeit von Zigaretten erfährt.

Dennoch war die Propaganda die wichtigste Waffe der USA im kalten Krieg. Die Dokumentation Operation Wunderland, Propagandakrieg um Deutschland, zeigt deutlich: Die Bedeutung der Begriffe Demokratie und Freiheit in unserer Sprache sind durch die gezielte Propaganda der USA geprägt. Diese Macht über uns hat die USA nie aufgegeben, auch heute will das amerikanische Pentagon über die Geheimdienste die Bevölkerung anderer Länder gezielt beeinflussen.

 Das machen vermutlich alle Geheimdienste, aber die USA haben das sogar offen zugegeben. Übrigens stellt sich auch schon wegen der gigantischen Größe der US Geheimdienste die Frage, wie man glauben konnte, dass sich diese ausschliesslich mit ein paar Taliban beschäftigen. Nur um wirklich die ganze Welt auszuspähen braucht man so viel Personal.

Es handelt sich um einen Propagandakrieg den die USA mit fast einer Million Geheimdienstmitarbeitern führen, aber gegen wen? Im kalten Krieg war der Gegner der Kommunismus in Gestalt des Warschauer Paktes. Kann es sein, dass der Kampf gegen die Ideen des Sozialismus auch weitergeführt wurde nachdem die Mauer gefallen ist? Dafür spricht, dass die Geheimdienste dem eigenen Bürgern mit dem gleichen Misstrauen begegnet wie dem Rest der Welt. Dafür spricht auch, dass Geheimdienste auf dem rechten Auge Blind sind.

Nicht die Verteidigung der Demokratie ist das Ziel der Geheimdienste, sondern die Herrschaft der Eliten.     

Informationsbeschaffung und Propaganda sind immer eng verwoben. Die Werbung nutzt wie wir wissen alle Mittel der IT Technologie um so viel wie Möglich über uns herauszufinden. Es wäre absurd anzunehmen, dass Geheimdienste dies nicht auch tun.

Die Manipulation einer Bevölkerung fällt eben viel leichter wenn man im besten Fall sogar ihre Privatsphäre ausspäht. Das hilft auch dabei die von Barneys angesprochenen Meinungsführer zu erkennen und auf seine Seite zu bringen, sei es in dem man sie kauft oder (z.B. durch Erpressung mit geheimen Informationen) unter Druck setzt.

Ausserdem möchte man natürlich radikale unzufriedene Elemente finden, Menschen die sogar bereit sind Gewalt anzuwenden. Die veröffentlichte Begründung, dass der Geheimdienst nach terroristischen Gruppen fahndet ist also teilweise zutreffend. aber selbst wenn das so ist, muss dies nicht unbedingt im Sinne der Demokratie oder des Schutzes der Bevölkerung sein.

Wenn wir irgendetwas aus der Geschichte des NSU gelernt haben, dann dass Geheimdienste nur in den aller seltensten Fällen diese Gruppen zerschlagen und ihre Mitglieder der Justiz überstellen. Im Gegenteil wurden gerade rechte Terrornetzwerke von Geheimdienste in der Vergangenheit unterstützt oder sogar ins leben gerufen. Im Kampf gegen die Gefahr des Sozialismus griff man häufig auf stramme Nazis zurück.

Als wir wissen wollten, warum man die NSU Killer nicht schon verhaftet hat als man wusste, dass sie Gewalttäter sind, wurden wir ausführlich darüber aufgeklärt, dass die Aufgabe eines Geheimdienstes die Infiltration ist, und nicht die Strafverfolgung. Die freiwillige Veröffentlichung von Geheimnissen, auch an Strafverfolger, betreibt man vielleicht erst dann, wenn Propagandainteressen damit verfolgt werden können.

Geheimdienste versuchen also in erster Linie terroristischen Gruppen zu unterwandern. Dies geschieht natürlich auch um weitere Informationen zu liefern und evtl. auch um Anschläge zu verhindern. Die Geschichte hat aber genug Beispiele Parat, in denen Geheimdienste diese Gruppen zu Werkzeugen instrumentalisiert und sie bei Anschlägen unterstützt haben.

Mit diesen Werkzeugen, haben denjenigen die sie nutzen, die Möglichkeit eine Wirklichkeit zu erschaffen die der Durchsetzung ihrer politischen Interessen dient. Im Extremfall können sie sogar Bürgerkriege und Umstürze auslösen. Wie wir durch den NSU Fall wissen, sind wir, die Bevölkerung, auf jeden Fall nicht diejenigen die unsere Geheimdienste kontrollieren.

Egal welche Untergrundbewegung (NSU, RAF, IRA, Rote Brigaden, Wehrsportgruppe Hoffmann, Al Quaida, Contras ...) man betrachtet, ab irgendeinem Zeitpunkt bestimmten Geheimdienste massgeblich über deren weiteres bestehen. Sie alle wurden irgendwann zu Werkzeugen der Geheimdienste. Es ist uns daher heute unmöglich zu sagen, ob zentrale Momente unserer Geschichte von Geheimdiensten gesteuert wurden oder nicht. 

Wir wissen heute beispielsweise, dass Benno Ohnesorg von einem Stasi Agenten getötet wurde. Diese Tat hatte entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung dieser Nation, egal ob das mit oder ohne Auftrag der Stasi-Führung geschah, der Agent, so ist anzunehmen, konnte eine Vorstellung davon haben, wie diese Tat die Geschichte verändern wird.

Ob der Generalbundesanwalt Siegfried Buback von einer Geheimdienstmitarbeiterin oder einer Terroristin getötet wurde ist zumindest unklar. Wer noch nie etwas von der Gladio Operation gehört hat, der sollte sich bei Wikipedia schlau machen. [Man nennt diese Art der verdeckten Operationen: Strategie der Spannung ]

Geheimdienste beschränkten sich also niemals auf reine Informationsbeschaffung. Der Macht einer direkten Einflußnahme auf die Geschicke der Menschen ohne sich einem mühsamen demokratischen Meinungsfindungsprozess zu unterwerfen, können diejenigen die diese Macht in den Händen halten nicht widerstehen.

In "Confessions of an economic Hitman" beschreibt John Perkins mit welchen Mitteln die Eliten der USA ihre wirtschaftlichen und politischen Ziele in der Welt durchsetzen. Diese Ziele unterliegen manchmal Veränderungen, aber im wesentlichen ist das Ziel eine Politik durchzusetzen die es US Unternehmen erlaubt so viel Profit wie möglich zu machen.

Die Geheimdienste treten dabei nie offen in Erscheinung. Privatpersonen, Unternehmensberater, Hedge Fond Manager, Lobbyisten, Think Tanks und andere Organisationen dienen als Vehikel dieser Ziele. Wirtschaft und  Geheimdienste, Kapital und Politik, die Grenzen sind verschwommen.

Bei der Bilderberg Konferenz wurde übrigens von NSA Chef  Keith Alexander schon vor Snowdens Enthüllungen (halb) öffentlich über Prism und die NSA referiert. Warum, so fragt man sich, erzählt der NSA Generaldirektor bei einem informellen Treffen der internationalen (Wirtschafts-) Eliten mehr über seine Arbeit, als vor einem demokratisch gewähltem Parlament? Warum ist Snowden ein Verräter und Alexander nicht?

Zitat aus dem oben verlinkten Artikel des US-Gehimdienstexperten (und ehemligen Geheimdienstmitarbeiter) Wayne Madsen:
The National Security Agency (NSA) has launched yet another high-powered charm offensive. The world’s largest communications and cyber-warfare intelligence agency insists that it unprecedented surveillance infrastructure exists merely to protect U.S. national security from terrorists and foreign intelligence agents. In fact, the NSA conducts massive political and economic intelligence gathering in order to preserve the vested interests of the America’s aristocracy. 

Wo immer US-Unternehmen oder Investoren durch undurchsichtige Geschäfte riesige Gewinne auf Kosten des Deutschen Steuerzahlers eingefahren haben, da könnten auch Geheimdienstliche Tätigkeiten im Hintergrund den Boden bereitet haben.

Wenn also die Deutsche Politik die Aktivitäten und Abhöraktionen fremder Dienste in Deutschland nicht nur nicht verhindert, sondern aktiv zugelassen hat, mag das daran liegen, dass Sie zur gleichen Seite gehört in diesem Krieg der Eliten gegen die Bevölkerung.

Die Frage wer denn in unserem Land wirklich bestimmt wird durch Edward Snowdens Enthüllungen neu aufgeworfen. Die fast teilnahmslose Haltung der Regierung Merkel zu diesem Thema scheint ihr stilles Einverständnis zur Ausspähung der Bevölkerung zu bestätigen. 

Die Frage nach der Realität und der Herrschaft wird zusehends verwirrender. Sicher ist, wir als Bürger sind diejenigen die keine Kontrolle darüber haben wie und von wem wir beherrscht werden

Edward Snowden hat sich gegen diese Herrschaft gestellt und desertiert. Obwohl die Grundrechte der Bewohner der demokratischen Staaten dieser Welt massiv eingeschränkt wurden, sieht keine Regierung ihr Land als Ziel eines Angriffs durch die Geheimdienstoperationen. Keiner unter den Eliten will diesen Deserteur aufnehmen, denn die andere Seite in diesem Krieg sind nicht die Eliten sondern wir, die Bürger.

Anm: Dieser Post begann eigentlich als Kommentar auf Heinz Saurens neuesten Artikel in seinem Blog Freigeist.
Er gehört zu denen die sich fragen ob das was wir als Demokratie bezeichnen eigentlich Demokratie ist.