Freitag, 4. September 2015

Fremde und Deutsche

Die Menschen bei uns, die willkürlich gezogene Linien auf Landkarten benötigen um daraus eine eigene Identität zu konstruieren, schüren gerne die Angst vor der "Überfremdung". Sie befördern damit den Hass auf alle die irgendwie als Fremd stigmatisiert werden. Ihrer Überzeugung nach ist alles in ihrem Sinne "Deutsch", was innerhalb der willkürlichen Linien auf der Landkarte liegt und damit automatisch als nicht Fremd gilt. Sie leben in der unumstößlichen (aber falschen) Überzeugung dass dieses "Deutschsein" so ist wie sie sich und ihre Nachbarn erleben. Ich denke nirgends würde ich mich fremder fühlen als dort wo die Menschen sich so von der Andersartigkeit anderer bedroht fühlen.

Meine Kindheit verbrachte ich in einem beschaulichen Dorf in Oberbayern. Es gab als Betätigungsfeld für junge Menschen die typischen Angebote dieser Zeit wie einen CSU Ortsverband, die Landjugend, den Fußballverein, die katholische Kirche und die freiwillige Feuerwehr. In keiner dieser Institutionen meiner "Heimat" fühlte ich mich "daheim". Um so älter ich wurde, um so fremder wurde mir diese  "Heimat", die ich schließlich verließ. Es versteht sich von selbst, dass auch viele dieser Dorfbewohner ihre Lebensart, die schon ein paar Kilometer weiter völlig in Frage gestellt wurde, als allgemein "Deutsch" definierten.

Mein Vater war "Vertriebener" Donauschwabe, ein Flüchtling aus einer Region in der "Deutschsein" von den Bewohnern die sich als "Deutsch" betrachteten völlig anders definiert wurde und die nicht innerhalb der Grenzen Deutschlands lebten. Ihr Deutschsein war eine konservierte Blase eines Deutschseins der Zeiten der KuK Monarchie, konstruiert von Generationen die sich an diesem Bild des "Deutschseins" festgeklammert und es gegenüber der Einflüsse des Balkans verteidigt hatten. Als diese Menschen nach Deutschland kamen hatte sich das Deutschsein allerdings sehr verändert. Sie sprachen eine Sprache die sonst niemand mehr sprach, sie hatten eine andere Lebensweise und andere Gewohnheiten, sprich, sie waren Fremde. Zwölf Millionen dieser Fremden fanden Zuflucht in einem vom Krieg zerstörten Deutschland. 

Weil mein Vater aber im CSU Ortsverband, im Sportverein und im Kirchenbeirat war, war er wohl bald nicht mehr "fremd", natürlich aber waren wir anders. Ein Hauch "Balkan" umwehte meine Familie. Meine eigene Fremdheit hatte wenig mit der Herkunft meines Vaters zu tun, meine Weltsicht wurde eher durch andere Familienmitglieder geprägt. Zum Glück gab es viele im Ort (oder den Nachbarorten) die eine ähnliche Weltsicht hatten. Ich konnte immer Freunde finden, die sich genauso fremd in der bayerischen Provinz fühlten wie ich, was aber nichts mit der Herkunft ihrer Eltern zu tun hatte. Fast alle meine Freunde aus dieser Zeit haben ihren Heimatort aber letztendlich verlassen, egal wie lange ihre Familien schon mit diesen Orten verwurzelt waren.

Möglicherweise sind in den Orten an denen die Heime der Asylbewerber brennen, all diejenigen die sich in ihrer Heimat fremd fühlten, schon lange ausgewandert. Sie wurden möglicherweise vertrieben von der Fantasielosigkeit und Enge der Vorstellungen über das Leben, an dem Ort an dem sie groß wurden. Vielleicht waren sie auch "Wirtschaftsflüchtlinge", die an einem anderen Ort in Deutschland bessere Möglichkeiten sahen sich selbst zu verwirklichen. Möglicherweise konnten sie sich aber auch einfach nicht mehr abfinden damit, dass "Deutschsein" von ein paar tausend Menschen in ihrer Nähe definiert wurde, die sich festklammern an Gewohnheiten deren Ursprung in einer Vergangenheit liegt die diesen Menschen wahrscheinlich ebenso fremd wäre wie Bangladesh.

Um so mehr diejenigen ihre Heimatorte verlassen, die die Fantasie aufbringen ihre eigene Identität zu hinterfragen, um so mehr kocht möglicherweise die Suppe ein, bis ein brauner Rest am Boden des Topfes zurückbleibt. In diesem braunen Rückstand bleibt ein Bild eines "Deutschseins" zurück, dass wohl den meisten Menschen innerhalb der willkürlichen Grenzziehung die Deutschland ist, befremdlich vorkommt.  Eben dadurch, dass sie sich abschotten, werden sie selbst zu den Fremden. Wie das Beispiel der Auslandsdeutschen und Vertriebenen zeigt, ist das Deutschsein kein statischer Zustand der konserviert werden kann, sondern eine vielgestaltige (und bunte) Dynamik. Wer sich von dieser Dynamik abkoppelt, wird denen die Teil dieser Dynamik sind Fremd. Die Gesellschaft entwickelt sich an ihnen vorbei und lässt sie auf einer Insel voller Fremder zurück. Nur durch Zuzug von "Fremden" die sich dort eine Heimat schaffen wollen und diese dabei verändern, kann diese Entwicklung verhindert werden. Nur durch die Akzeptanz des Anderen findet man eine Heimat. Die eigentliche Angst die man also haben muss ist die vor der "Unterfremdung".