Sonntag, 7. Februar 2016

Das Ende der Mitte

Einer bedeutendsten Beiträge der Frankfurter Schule zur Aufarbeitung des Nazi Terrors ist zweifelsohne die Forschung zur "Autoritären Persönlichkeit". Vergleichen wir die Merkmale der autoritären Persönlichkeit mit der Rethorik der Präsidentschaftskandidaten der Republikanischen Partei, dann muss jedem kritischen Denker auffallen, wie Teile der US Gesellschaft auf einen neuen Faschismus zusteuern. Auch in Europa wird der rechte Rand immer mächtiger. Nicht nur die Rethorik der extremen wird autoritärer, sondern vor allem auch die der "Mitte". Woher kommt diese Entwicklung?

Der Faschismus ist die Gesinnung derer, die Stärke einfordern, die der Autorität folgen und Autorität ausüben, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit an den Tag legen, die eher abergläubischen Vorstellungen über "das Böse" anhängen und diese Vorstellungen mit Vorurteilen gegenüber anderen Verbinden, die Opfer zu Tätern stilisieren, die Reflektion und Intellektualität verabscheuen, die an eigentlich überkommenem um jeden Preis festhalten, die eine Feindseligkeit gegenüber allen die "anders" sind an den Tag legen und die das Ich vor das Wir stellen.

Der Westen schlüpft offenbar in diese autoritäre Gesinnung wie in einen alten Schuh. Die Huldigung der Autorität, die Umkehr der Opfer und Täterrolle und der Hass gegen Fremde kommt uns immer leichter über die Lippen. Der Neoliberalismus der letzten Jahrzehnte scheint seinen Schafspelz abzustreifen und der Wolf des Faschismus kommt darunter zum Vorschein.  Es ist das Paradox des Faschisten und des Neoliberalen gleichermaßen, dass er die Schuld immer in den Mängeln des individuums sucht aber nie bei sich selbst.

Wer arm ist ist eben selbst Schuld, das gilt natürlich ebenso für die Flüchtlinge aus den Krisengebieten dieser Welt. Das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit in diesem unmenschlichen System kann nur kompensiert werden in dem es andere gibt die man ausgrenzen kann. Der Wirtschaftsflüchtling kann nur dann kriminalisiert werden wenn man diese Opfer-Täter Umkehr für sich sich erfolgreich betrieben hat, die so Zentral für die autoritäre Gesinnung des Faschisten ist. Schon im Ausdruck "Flüchtlingskrise" lauert diese Opfer-Täter Umkehr. Wer sonst könnte Schuld sein an der Misere der Ärmsten und Armen als sie selbst?

Es gibt aber objektiv keine Zweifel daran, dass die Realität eine andere ist. Es ist eben nicht der Flüchtling die Krise, sondern die Krise vor der er flieht. John Tirman, immerhin Direktor des Instituts für Internationale Studien am MIT, der renomiertesten Uni der Welt, lässt über diese  Fluchtursache keine Zweifel aufkommen. In seinem Artikel "The Failure of Neoliberalism" schreibt er:

"But few are asking why so many are coming. Why are so many traveling at great risk and expense to escape Libya, Syria, Mali, Eritrea, Guatemala, El Salvador, Honduras, Mexico?

Many attribute the massive exodus into the Mediterranean as a consequence of violent actors. And many do migrate to escape civil war and repression. Likewise, the so-called war on drugs in Latin America has backfired; an illegal drug culture thrives, enforced by violence.

Much of the migration, however, results from unsustainable livelihoods, the disruption of traditional forms of agriculture, production, and government services that for decades provided adequate — in many cases, barely so — incomes in the developing world. The triumph of neoliberalism has changed all that. And such policies as “freeing” economies for direct foreign investment, movement of capital, deregulation, privatization, and reducing the size of the state were devised in Western capitals, London and Washington most prominently.

This neoliberal experiment has produced solid growth rates in some places, but the benefits tend to accrue to elites and are not widely distributed, leading to growing inequality — a growth of 11 percent in the income gap in middle- and low-income countries from the 1990s to the late 2000s, according to a UN study. Simultaneous cutbacks in education, health care, clean water availability, and the like, make life even harder for the marginalized. The demands of a globalized economy can have multiplier effects: Lack of employment opportunities for young men in particular can aid recruiters to drug gangs or jihadist organizations. The threats such groups convey is one reason people flee.

Yet a blithe narrative of free trade rules Washington and European politics, mainly due to the influence of those who benefit most — banks and energy companies, to name a couple. The downside of these policies — stubborn poverty, growing inequality, crime, and emigration — is not so apparent to those living in safety and prosperity. There’s little compassion for the victims of the globalized economy until hundreds are drowned by an overcrowded boat capsizing, or unaccompanied children appear at the border.
"

Diese allgemeinen Feststellungen der Politik- und Sozialwissenschaften, der Ethnologen und Anthropolgen stimmen nicht überein mit der Diskussion in der Öffentlichkeit. Der Neoliberalismus ist schliesslich Alternativlos, also kann er nicht die Ursache sein für Krieg, Vertreibung, Umweltzerstörung, Hunger und Unterdrückung.

Weil wir den Kapitalismus für alternativlos halten, merken wir nicht, dass er untergeht. Kapitalismus, die Erwirtschaftung von Kapital aus Investition, Produktionsmitteln und Arbeit in einer Marktwirtschaft, wurde vom Postkapitalismus verdrängt. Global gesehen arbeiten immer weniger Menschen, immer mehr sind nicht oder extrem prekär Beschäftigt. Kapitalertrag wird beim obersten 1% nicht mehr durch "marktwirtschaftliche" mechanismen geschaffen, sondern durch die Abschaffung der Marktwirtschaft.

Die erfolgreichen Kandidaten der republikanischen Vorwahlen in Iowa, Ted Cruz und Marco Rubio, werden von Miliardär Paul Singer, auch genant "The Vulture", gefördert. Paul Singer steht für das Ende des Kapitalismus und der Demokratie wie vielleicht ausser ihm nur noch die Koch Brüder.

Sein "Vulture Fond" (Elliot Management Corporation) scheffelte Miliarden in dem er notleidende Kredite von Schwellen- und Entwicklungsländern aufkaufte und diese Länder dann mittels der (wie durch TTIP geplanten) internationalen Schiedsgerichte der Konzerne dazu Zwang, ihre Entwicklungshilfe zu nutzen, um ihm die Schulden samt horrenden Zinsen "zurückzuzahlen". Diese Kredite waren von den Geberländern häufig schon abgeschrieben aber durch seine "guten Kontakte" zu Weltbank und US Politik gelang es Paul Singer immer wieder Nationen der Hilfsgelder zu Berauben die der Westen zur Bekämpfung von Hunger und Seuchen bestimmt hatte.

Das Prinzip, politische Korruption und die Macht des Geldes zu nutzen, um ganze Volkswirtschaften in Schuldknechtschaft zu zwingen, ist die Blaupause für den neuen Postkapitalismus. So wie in Griechenland wurden über jahrzehnte ganze Volkswirtschaften im globalen Süden von Finanzinstitutionen, gegen den Widerstand der Bevölkerung, gezwungen die Bedingungen "der Gläubiger" zu schlucken. Austeritätspolitik ist nichts weiter als die Erwirtschaftung von Kapitalerträgen aus dem Steueraufkommen und die staatlich organisierte Umverteilung von arm zu reich. Der Kapitalismus verwandelte sich in einen autoritären, ausbeuterischen Postkapitalismus.

Europa hat lange von diesen Vorgängen profitiert. Die reichsten 10% der Welt, der Westen, verbraucht heute 80% der immer knapper werdenden Ressourcen der Welt (Nachweis,WWF Living Planet Report 2014). Die Kriege um diese Ressourcen sind nicht die Fluchtursache sondern unser Ressourcenhunger und die Ausbeutung des "globalen Südens" durch den "Westen". Angesichts dieser Reaität ist ein Ende der Flucht und Vertreibung nicht abzusehen, da eine Bekämpfung der Fluchtursache "globaler Neoliberalismus" nicht gewollt ist.

Wir haben so lange die Augen vor den imperialen und autoritären Strukturen verschlossen, die der Neoliberalismus in unserem Namen errichtet hat, bis als Ergebnis dieser Ignoranz die Leichen der Flüchtlinge an unsere Urlaubsstrände getrieben wurden.

Im Bild von Alan Kurdi kollidieren die humanistischen und ethischen Werte die wir glauben im “Westen” zu vertreten mit der bitteren Realität der imperialen Ausbeutung. Jetzt erkennen wir, oder spüren im kollektiven Unterbewusstsein, dass diese Werte nicht mit dem Handeln an unseren Grenzen und in den Herkunftsländern vereinbar sind. Unser Wirtschaftssystem ist eine Lüge die wir uns ständig selbst erzählen.

Westliche Werte und westliche imperiale, autoritäre Realität sind nicht unter einen Hut zu bringen.
Wir selbst wären diejenigen die unseren Wohlstand teilen müssten, wenn wir unsere Werte ernst nehmen würden. Wir leben aber in dem Irrglauben wir hätten uns diesen Wohlstand selbst verdient. Anscheinend können sich viele eher damit anfreunden ihre "westlichen Werte" und ihr gutes Gewissen, als ihren Wohlstand zu verlieren. Offenbar will kein Politiker jemals zugeben, dass die Angleichung der Lebensstandards bei uns beginnen muss, da er Angst hat seine Wählerschaft zu verlieren.

Wenn wir unsere Werte aber erhalten wollen, wenn wir uns weiterhin zu Demokratie, Menschenrechten, Freiheit und Solidaritäte bekennen wollen, dann wir müssen uns langfristig dem globalen Neoliberalismus stellen.

Nur wenn wir hier eine globalisierbare, postkapitalistische Alternative zum neoliberalen Wirtschaftsmodell vorleben, können wir hoffen die Fluchtursache “globalisierter Neoliberalismus” zu beseitigen.

Wir und diejenigen in den gewählten Machtpositionen stehen also vor der Wahl, entweder uns ideologisch zu einem faschistoiden, rassistischen, totalitären Imperialismus zu bekennen der sich hinter waffenstarrenden Mauern verschanzt, oder zu einer revolutionären Wende in ein anderes Wirtschaftssystem, von dem wir gar nicht wissen wie es aussehen könnte, da wir das Wissen über sozialistische, anarchistische und kommunistische Alternativen unterdrückt haben. Weil wir diesen untergehenden Kapitalismus für alternativlos halten, haben diejenigen die für einen rechtsautoritären Imperialismus stehen, den politischen Rückhalt in unserer Bevölkerung den sie brauchen, um dieses System der globalen Ausbeutung voranzutreiben.

Die Eliten, die vom Status Quo der Vermögensverteilung am meisten profitieren, sind eher dem faschistoiden Imperialismus zugeneigt. Wir, die Mehrzahl der Wähler, tun alles um uns dieser Realität nicht stellen zu müssen. Auf lange Sicht aber wird uns diese Realität einholen und eine dieser beiden Alternativen wird sich durchsetzen müssen, wenn nächstes Jahr 2 übernächstes 4 und überübernächstes 8 Millionen zu uns wollen, weil sie zu recht davon ausgehen, dass der Wohlstand den wir hier haben auf ihrem Rücken geschaffen wurde.

Die Mitte, die uns unverminderten Wohlstand verspricht und uns einreden will wir könnten dabei auch die Werte auf die sich unsere Verfassung stützt behalten, wird immer unglaubwürdiger.

Diejenigen die als heute "Extremisten" oder "Radikale" beschrieben werden, erscheinen als die eigentlich rationalen. Die Wirtschaftsprofessoren die die AFD gegründet haben, konnten und wollten nicht sehen, dass in Konsequenz ihre Haltung auf die rassistische und waffenstarrende Abschottung hinausläuft die Frauke Petry heute bewirbt. Wer eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen einfordert, der muss glaubhafte Konzepte haben wie das zu bewerkstelligen ist. Das System Mauer, dass die Freiheit, die Demokratie und unsere Verfassung beerdigt ist glaubhaft, so etwas hatten wir schon.

Die einzige andere glaubwürdige Alternative ist die Ursache der Flucht selbst anzugehen und den Neoliberalismus zu beerdigen. Nur wenn wir dafür einstehen, dass solidarische und freiheitliche Grundrechte für alle Menschen dieser Welt zu gelten haben, können wir diese Werte retten.

Alle die zwischen der Linken und der AFD liegen, all die Grünen, Gelben, Roten und Schwarzen, die sich nicht laut gegen den Neoliberalismus stark machen, sind daher nichts weiter als Steigbügelhalter für einen neuen Faschismus. Wer Zuwanderung begrenzen will ohne den Neoliberalismus zu verdammen, der pflastert den Weg für den neuen Faschismus. Die Gefahr für unsere Verfassung und unsere demokratische, freiheitliche Werteordnung kommt heute ebenso aus der Mitte wie von denen die sich offen als Faschisten zu erkennen geben. "Die Mitte" ist mit dem Kapitalismus gescheitert.

Anhang:
Die Welt wird autoritärer: Freedom in the World Report 2016 
Wolfgang Streeck (Soziologe, ehem. Direktor des MPI für Gesellschaftsforschung): "Wie wird der Kapitalismus enden?"

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