Das ist eine Frage die sich mir in letzter Zeit häufig stellt.
Ich fand dazu folgende Antwort.
Ein Vortrag von Christian Y. Schmidt:
(Christian Y. Schmidt war von 1989 bis 1995 Redakteur der Satire-Zeitschrift Titanic. Er arbeitet als freier Autor, u.a. für die Berliner Zeitung, konkret, taz und die Jungle World und schreibt für das Blog Riesenmaschine.
Er hat mehrere humoristische und satirische Bücher zusammen mit anderen Titanic-Autoren veröffentlicht und daneben Texte über linke Politik und über Ostasien.)
Vortrag, gehalten auf dem Deutsch-Chinesischen Studentenforum: University of International Business and Economics in Beijing, 4. Dezember 2010
Die deutsche China-Berichterstattung ist unausgewogen und eher negativ gefärbt. Das hat die jüngst erschiene Studie „Die China-Berichterstattung in den deutschen Medien“ der Heinrich Böll-Stiftung festgestellt. Die Autoren der Studie haben verschiedene Gründe für die Unausgewogenheit genannt. Eine eurozentristische Sichtweise der Berichterstatter beispielsweise, der Hang zur journalistischen Vereinfachung oder der eingeschränkte Zugang zu den Quellen, was auch an der chinesischen Regierung liegt. Einen wichtigen Grund, so glaube ich, aber hat man in der Studie vergessen. Doch dazu später.
Die Studie der Böll-Stiftung hat auch ganz richtig festgestellt: Es gibt keine Verschwörung der deutschen Medien, China schlecht zu machen. Und natürlich gibt es auch keine Anweisungen der deutschen Regierung, so etwas zu tun. Es gibt in Deutschland laut Verfassung keine Presse- und Medienzensur. Das heisst auch, dass es keine generellen Anweisungen gibt, bestimmte Themen und Begriffe zu vermeiden oder auch nur in einer bestimmten Weise anzugehen. Nicht nur insofern sind die deutschen Medien sicher freier als die chinesischen Medien.
Aber ist die deutsche Presse auch wirklich so frei, wie sie immer wieder von sich selbst behauptet? Und kann die deutsche Presse, die ja auch immer wieder eine ähnliche Pressefreiheit wie in Deutschland für China einfordert, tatsächlich ein gutes Beispiel für China sein? Das ist die Frage, um die es hier gehen soll.
Zunächst einmal: Natürlich ist auch in Deutschland die Pressefreiheit durch Gesetze eingeschränkt. Paragraph 86 verbietet das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, Paragraph 89 die verfassungsfeindliche Einwirkung auf die Bundeswehr, Paragraph 90 die Verunglimpfung des Bundespräsidenten, Paragraph 90a die Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole, Paragraph 90b die verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen, Paragraph 91 die Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, Paragraph 111 die öffentliche Aufforderung zu Straftaten, Paragraph 130 die Volksverhetzung, Paragraph 130a die Anleitung zu Straftaten und Paragraph 131 Gewaltdarstellungen. Verstösse gegen diese Gesetze können mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Und tatsächlich sitzen auch in Deutschland Menschen im Gefängnis, weil sie gegen diese Gesetze verstossen haben.
Diese gesetzlichen Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit betreffen allerdings in der Regel – wenn auch nicht in allen Fällen – Befürworter von terroristischer oder rassistischer Gewalt. Deshalb halte ich auch die meisten der aufgeführten Paragraphen für richtig. Doch festzuhalten gilt: Auch in Deutschland gibt es nach dem Gesetz keine absolute Pressefreiheit.
Wären nun die genannten Gesetze die einzige Beschränkung, der die deutsche Presse unterliegt, wäre dagegen nicht viel zu sagen und dieser Vortrag wäre an dieser Stelle auch schon wieder zu Ende. Doch ich glaube, dass die Beschränkungen weiter reichen. Tatsächlich ist die Presse nämlich auf vielfältige Art und Weise abhängig und verflochten, wodurch das beeinflusst wird, was die deutschen Rundfunk- und Fernsehmedien senden oder was in der Zeitung steht. Diese Abhängigkeiten und Verflechtungen halte ich für wesentlich problematischer als die die Pressefreiheit einschränkenden Gesetze, unter anderem, weil sie viel schlechter zu durchschauen sind. Einige dieser Abhängigkeiten werden Sie auch aus China kennen, denn sie sind weltweit mehr oder weniger dieselben. Deshalb mögen auch einige Punkte der folgenden Aufzählung banal klingen. Ich will trotzdem hier keinen auslassen, damit das Bild möglichst vollständig ist.
1) Ökonomische Abhängigkeit
Auch wenn diese Tatsache immer wieder von den deutschen Medien geleugnet wird, so ist doch das, was sie berichten, zu einem gewissen Grad abhängig von ihren Anzeigenkunden. Nur ein Beispiel ist das Verhältnis der Medien zu einer der wichtigsten deutschen Wirtschaftszweige, der Automobilindustrie. Das private Automobil ist sicher nicht nur das am wenigsten ökologische Produkt, das man sich denken kann, es ist auch das am wenigsten ökonomische Transportmittel, abgesehen davon, dass es heutzutage kaum mehr ein Transportmittel ist, da es mehr herumsteht als transportiert. Doch obwohl das so ist, gibt es in Deutschland genauso wie auch anderswo praktisch keine automobilkritische Presse. Im Gegenteil: Praktisch jede deutsche Tageszeitung hat eine Automobilbeilage. Hier werden die neuesten Automobile vorgestellt und – wenn sie nicht gerade bei der Probefahrt auseinanderfallen – wohlwollend beurteilt. Der Grund dafür ist ziemlich einfach: Keine Zeitung kann es sich leisten, auf die Anzeigen der Automobilkonzerne zu verzichten. Also produziert man eine Zeitung nach ihren Wünschen.
Doch die Automobilwirtschaft nimmt noch viel direkteren Einfluss auf die Presse. Journalisten, die über Autos schreiben, bekommen diese Monate lang kostenlos zur Verfügung gestellt. Mittlerweile werden selbst an deutsche Blogger Autos kostenlos verliehen. Andere Branchen stellen neue Produkte in Luxushotels vor, in die die Journalisten eingeflogen werden. Reiseveranstalter spendieren Journalisten kostenlose Reisen. Als ich noch in Singapur wohnte, bekam ich beispielsweise öfter Besuch von deutschen Journalisten, die von hier aus mit dem „Eastern and Oriental Express“ nach Bangkok fuhren. Eine Reise in dem Luxuszug kostet momentan zwischen 2.300 bis 4.700 US Dollar. Die deutschen Journalisten zahlten natürlich nichts.
Zwar kann ein Journalist nach einem solchen kostenlosen Test über die Produkte, Reisen oder Autos theoretisch schreiben, was er will. Nur: Wer ein Produkt schlecht beurteilt, der kann zukünftig solcherlei Zuwendungen vergessen. Auf jeden Fall habe ich in den Reiseteilen der deutschen Zeitungen noch nie etwas Negatives über den „Eastern and Oriental Express“ gelesen.
2) Politische Abhängigkeiten
Die Presse in Deutschland behauptet von sich gerne, sie sei die vierte Gewalt im Staat und dazu da, die Regierung zu kontrollieren. Auf den ersten Blick scheint das zu stimmen. Ganz anders als in China wird in den deutschen Medien viel und gerne Kritik sowohl an der Regierung als auch an der Opposition geübt. Tatsächlich erfolgt aber die Kritik in bestimmten Grenzen. Das politische System in Deutschland, die Wirtschaftsordnung, und hier speziell, wem was gehört, wird nicht in Frage gestellt. Das zeigte sich zum Beispiel einmal mehr während der jüngsten Finanzkrise. Hier wurden zwar die gigantischen staatlichen Hilfspakete für die Banken entweder begrüsst oder kritisiert, doch es äußerten sich beispielsweise keine massgeblichen Stimmen, die forderten, die mit Steuergeldern Banken zu verstaatlichen und sie damit in gesellschaftliche Kontrolle zu überführen. Eine Forderung, die angesichts der Milliardenzahlungen eigentlich nahe gelegen hätte.
Dass sich die Presse nicht an diesen Komplex heranwagt, liegt meiner Überzeugung nach auch daran, dass die privatwirtschaftlich orientierte deutsche Politik direkt Einfluss auf bestimmte Medien nimmt. Das betrifft vor allem die angeblich vom Staat unabhängigen öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten. Der 77-köpfige Fernsehrat des Zweiten Deutschen Fernsehens zum Beispiel ist, wie die Süddeutsche Zeitung formulierte, „durch und durch mit Politkern besetzt“. Das Gleiche gilt für den Verwaltungsrat des Senders. Diese Gremien bestimmen zwar nicht direkt die Inhalte des Senders, jedoch das Führungspersonal. So kündigte der ZDF-Verwaltungsrat im Februar 2009 dem ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender. Der Grund: Dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, dessen Partei im Verwaltungsrat die Mehrheit hat, passten Brenders politische Ansichten nicht. Natürlich wird das von niemandem so direkt formuliert. Trotzdem ist das eine Tatsache.
Nun gibt es auch zahlreiche private Medien in Deutschland, dessen Personal die Politik nicht so unmittelbar ein- oder absetzen kann. Hier nutzt man indirekte Kanäle der Einflussnahme. Einige Journalisten – vor allem in der Hauptstadt – werden praktisch zu Komplizen der Politik gemacht, in dem man sie mit Informationen versorgt, die andere Journalisten nicht erhalten. Auf diese Weise hat sich in Berlin inzwischen eine Szene herausgebildet, in der Politik und Medien eng verflochten sind: Journalisten stellen gegen gute Honorare Bücher vor, die Politiker geschrieben haben, Politiker und Journalisten besuchen dieselben Partys und Empfänge, und manchmal heiraten Journalisten und Politiker gar, so wie die Bild-Zeitungs und Focus-Journalistin Doris Köpf (Schwerpunkt: Innenpolitik) den damaligen Bundeskanzler Schröder. Letzteres ist allerdings eher ein bizarres Detail am Rande.
Viel öfter ist die deutsche Politik Journalisten bei ihrer Karriere behilflich, indem sie ihnen einen Job verschaffen. Das höchste Amt, an das man auf diese Weise gelangen kann, ist das des Regierungssprechers, entweder im Rang eines Ministers oder eines Staatssekretärs. Schon der erste Regierungssprecher der deutschen Bundesregierung, Heinrich Boex, hatte vorher als Journalist gearbeitet. Ihm folgten nahezu ein Dutzend Presseleute in diesem Amt. Conrad Ahlers beispielsweise, Regierungssprecher unter Kanzler Willy Brandt, war zuvor stellvertretender Chefredakteur des Spiegels gewesen, Klaus Boelling, Regierungssprecher unter Helmut Schmidt, war Redakteur der Westberliner Tageszeitung Der Tagesspiegel, danach beim Rundfunksender RIAS, anschliessend beim Westdeutschen Rundfunk und noch später Intendant von Radio Bremen. Bevor ihn Kanzler Helmut Kohl zu seinem Pressesprecher machte, war Peter Boehnisch u.a. Chefredakteur des Skandalblatts BILD-Zeitung.
Auch Bela Anda kam von BILD. Von 2002 bis 2005 war er Regierungssprecher unter Gerhard Schröder. Abgelöst wurde er von Ulrich Wilhelm, der von 2005 – 2010 den Regierungssprecher unter Kanzlerin Angela Merkel gab. Zuvor war Wilhelm Mitglied der bayerischen Staatsregierung, noch früher in der Chefredaktion des bayerischen Rundfunks. Ihm folgte in diesem August Steffen Seibert. Vorher war der Mann Auslandskorrespondent des Zweiten Deutschen Fernsehens in Washington, und von 2003 bis 2010 Moderator der heute-Nachrichten, der Hauptnachrichtensendung des zweiten Programms. Das wäre so ähnlich als ob einer der Sprecher der CCTV-Hauptnachrichtensendung morgen Minister in der chinesischen Regierung würde.
Doch die geschilderten Karrierewege sind keine Einbahnstrassen. Es geht genau so gut umgekehrt. Merkels Pressesprecher Wilhelm wurde nach seinem Abgang Intendant des Bayerischen Rundfunks und Brandts Sprecher Conrad Ahlers Intendant des deutschen Auslandssenders Deutschen Welle. Und seitdem Helmut Schmidt nicht mehr Bundeskanzler ist, fungiert er als Herausgeber des einflussreichen Wochenblatts Die Zeit.
Und das ist natürlich nur die Spitze des Eisbergs, denn solche personellen Verflechtungen zwischen Politik und Medien sind auf allen politischen Ebenen gang und gäbe. Da stellt sich allerdings die Frage: Wie sollen solche Journalisten unabhängig bleiben? Und wie können sie behaupten, die politische Klasse zu kontrollieren? Bereits die Möglichkeit eines derartigen Aufstiegs muss die Berichterstattung korrumpieren. Die Presse und die sonstigen Medien als vierte Gewalt im Staat? Wenn überhaupt, dann gilt dieses Modell in Deutschland nur sehr eingeschränkt.
Ähnliche Verquickungen wie zwischen Medien und Politik gibt es übrigens auch zwischen der deutschen Wirtschaft und der Presse. Auch hier könnte ich eine ganze Reihe Beispiele nennen. Doch bleiben wir bei dem Verhältnis zwischen deutscher Presse und der deutschen Politik. Wie bereits gesagt: Zwar gibt es in der deutschen Presse durchaus Kritik an Politikern und ihrer Politik. Dabei kritisiert der Teil der Presse, der mehr mit der parlamentarischen Opposition sympathisiert, die Politik der Regierung, und der regierungsfreundliche Teil der Presse die Politik der Opposition. So spielt man ein Spiel mit verteilten Rollen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Nur: Dort wo sich Regierung und Opposition einig sind, fehlt es auch meistens an Kritik in den deutschen Medien.
Das gilt besonders für die deutsche Aussenpolitik. Sehr deutlich wurde das im Jahr 1999, als sich die deutsche Regierung unter Bruch der eigenen Verfassung und bei Missachtung diverser internationaler Verträge am Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien beteiligte. Hier machte sich fast die gesamte deutsche Presse die Position der damaligen Regierung Schröder/Fischer zu eigen. Auch die offensichtlichen Unwahrheiten, die diese Regierung damals zur Rechtfertigung des Krieges verbreitete, wurde vom Gros der deutschen Medien kaum angezweifelt. Im Gegenteil, die meisten Medien halfen bei der Verbreitung. Der Grund: Bis auf die kleine und am Rande des Parteienspektrums stehende PDS hielten damals alle deutschen Parteien den Krieg für notwendig. Erst einige Zeit, nachdem der Krieg zu Ende war, gaben ein paar Medien zu, dass diverse Kriegsgründe erfunden waren. So steht heute fest, dass der von dem damaligen Verteidigungsminister Scharping als Begründung für den Krieg angeführte so genannte „Hufeneisenplan“, der eine angeblich von der jugoslawischen Regierung geplante ethnische Säuberung des Kosovo beweisen sollte, überhaupt nicht existiert hat. Diese Enthüllung nutzte natürlich nichts mehr, da der Krieg geführt war und die Kriegsziele erreicht. Eine Entschuldigung der Medien, die vor dem Krieg die Falschmeldung verbreitet hatten, steht übrigens bis heute aus.
3) Abhängigkeit vom Publikum
Die bisher erwähnten Abhängigkeiten der Presse, die ihre Freiheit einschränken, sind relativ einfach nachzuweisen. Schwieriger ist das bei einer dritten Abhängigkeit, der Abhängigkeit der Medien von ihren Lesern, Zuhörern und Zuschauern. Oder um es anders zu sagen: Die Medien prägen nicht nur das Denken ihres Publikums, sondern das Denken des Publikums beeinflusst auch umgekehrt das, was die Medien berichten. Konkret: Journalisten beschäftigen sich lieber mit einem Thema, von dem sie glauben, dass es bei der Zielgruppe ankommt, als mit einem anderen, von dem sie sich das nicht versprechen.
Diese Behauptung werden die meisten Journalisten natürlich strikt von sich weisen. Doch allein die in Journalistenkreisen immer wieder geäusserte Ansicht, dass sich negative Nachrichten nun mal besser verkaufen als positive, bestätigt sie. Mit dieser These wird unter anderem begründet, weshalb die deutschen Medien leider immer viel mehr über die negativen Aspekte der chinesischen Gesellschaft berichten müssen als über die positiven Entwicklungen.
Interessanterweise gilt die These aber plötzlich nicht mehr, wenn es um andere negative Meldungen geht. An den Aussengrenzen der Europäischen Union kommen zum Beispiel mehr Menschen ums Leben als an allen anderen Grenzen der Welt. Allein von 1998 bis zum August 2009 starben hier nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen 14.687 Menschen. Schuld an dieser hohen Zahl sind unter anderem Beamte der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX, die Menschen, die illegal nach Europa gelangen wollen, durch ihre Abschottungs- und Verfolgungsmassnahmen auf immer gefährlichere Fluchtrouten drängen. Eine negative Nachricht par excellence, die sich gleich tausendfach personalisieren liesse; ein Stoff, aus dem normalerweise deutsche Schlagzeilen gemacht sind. Doch über diesen andauernden, eklatanten Menschenrechtsskandal wird von den deutschen Medien nur selten berichtet. Genauso wenig liest, hört und sieht man über die unhaltbaren Zustände in den Lagern, in die diejenigen kommen, denen die Flucht nach Europa gelungen ist. Auch geharnischte Kommentare, in denen dazu aufgefordert wird, diese Menschenrechtsverletzungen zu beenden, die Lager aufzulösen und die Flüchtlinge aufzunehmen, sucht man in den massgeblichen deutschen Medien vergebens.
Der Grund dafür ist ziemlich eindeutig: Das europäische Grenz- und Asylregime mag zwar die Menschenrechte der nach Europa fliehenden Menschen verletzen, sorgt aber gleichzeitig dafür, dass der Wohlstand der Bewohner Europas nicht in Gefahr gerät. Deshalb will man in Deutschland von diesen Menschenrechtsverletzungen am liebsten gar nichts wissen. Berichte über Menschenrechtsverletzungen in China aber stören nur die wenigsten. Im Gegenteil: Sie bestätigen das Publikum in der Meinung, auf der richtigen Seite zu stehen. Das zeigt: Menschenrechtsverletzungen sind auch für die deutschen Medien nicht gleich Menschenrechtsverletzungen. Es kommt immer darauf an, wer sie begeht.
4) Ökonomischer Druck
Die drei bisher genannten Punkte demonstrieren, dass die Pressefreiheit in Deutschland zwar auf dem Papier steht, dass aber trotzdem eher selten frei und unabhängig berichtet wird. In der Aufzählung fehlt aber noch ein vierter, sehr wichtiger Punkt, und das ist der ökonomische Druck, der auf den Journalisten lastet. In den letzten Jahren sind in Deutschland die Honorare der freien Journalisten extrem gesunken. Das Gehalt der angestellten Journalisten sank zwar in der Regel nicht, doch dafür wurden von den Redaktionen Leute entlassen und Redaktionen zusammengelegt. Das heisst, dass immer weniger Journalisten immer mehr Artikel schreiben müssen. Für gründliche Recherchen bleibt da kaum noch Zeit. Wer aber keine Zeit mehr hat, der neigt dazu, ungeprüft Klischees und Fehler zu kolportieren.
Hinzu kommt, dass in Deutschland investigativer Journalismus traditionell kaum betrieben wird. Lediglich der Spiegel und einige Fernsehmagazine haben überhaupt die Ressourcen, um sich längere und aufwändige Recherchen zu leisten. Und so dürften etliche Skandale in der deutschen Politik und Wirtschaft niemals aufgeklärt worden sein, weil es an aufklärungswilligen Journalisten fehlt. Oder anders formuliert: Der deutsche Journalist recherchiert kaum und deckt nicht auf, er meint lieber, weil das schneller geht und nicht viel kostet.
Bevor ich zum Schluss komme, muss ich der Vollständigkeit ergänzen, dass ich hier nur das Bild des deutschen Mainstream-Journalismus gezeichnet habe. Es gibt durchaus auch einen anderen Journalismus, der hauptsächlich in Nischen existiert. Doch diese Nischen werden immer kleiner, auch weil die Konzentration der Presse in Deutschland immer weiter fortschreitet. In vielen Regionen gibt es nur noch eine einzige Tageszeitung, die in der Regel im Besitz eines grossen Medienkonzerns ist. In grossen deutschen Tageszeitungen wie z. B. der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau stehen zusehends dieselben Artikel, weil sie inzwischen zu demselben Konzern gehören. Die letzte unabhängige überregionale Tageszeitungsgründung, die sich bis heute halbwegs am Markt behauptet, liegt über dreissig Jahre zurück. 1965 schrieb der konservative Gründungsherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Paul Sethe, in einem Leserbrief an den Spiegel: „Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“ Dieser Satz trifft die Situation in Deutschland auch heute noch. Nur sind es inzwischen noch weniger Leute geworden.
Wer trotzdem noch in den Nischen weiterschreibt oder -sendet, der kann in Deutschland zwar mehr oder weniger verbreiten, was er will. Diese Freiheit ist nicht selbstverständlich und man sollte sie deshalb auch nicht unterbewerten. Doch wird der, der in diesen Nischen-Publikationen veröffentlicht, vom breiten Publikum nicht wahrgenommen. Er verdient ausserdem so wenig Geld, dass es fast nicht möglich ist, davon zu leben. Auch das ist ein Grund dafür, weshalb viele Journalisten, die zu Beginn ihrer Laufbahn sehr kritisch waren, irgendwann bei den Mainstreammedien, in der Politik oder in der Wirtschaft landen, um dort dann zu sagen oder zu schreiben, was man hören will.
So sieht, grob skizziert, die Realität des Journalismus und der Medien im heutigen Deutschland aus. Wenn es um China geht, ist die Situation für deutsche Journalisten etwas anders. Und damit komme ich zu dem Punkt, den ich zu Beginn dieses Vortrags erwähnt habe. Ich glaube, dass ein Teil der deutschen China-Berichterstattung und China-Kommentierung – es ist tatsächlich nur ein Teil, es gibt auch etliche Journalisten, die ausgewogen berichten – nicht nur deshalb so unausgewogen und negativ ist, weil es in China unbestreitbar einiges zu kritisieren gibt. Sondern ich glaube, dass das auch passiert, weil man dabei nichts riskiert. Man verdirbt es sich nicht mit einflussreichen Leuten im eigenen Land, mit keinem aus der deutschen Politik und Wirtschaft. Man verdirbt es sich auch nicht mit dem eigenen Publikum. Und so steht der weiteren Karriere auch des kritischsten China-Kommentators nichts im Wege.
Und wer jetzt einwendet, das sei eine Unterstellung, den frage ich, wo denn bei der deutschen Chinaberichterstattung die Kritik an den deutschen Firmen in China bleibt, die zum allergrössten Teil ausgezeichnete Beziehungen zu den hiesigen Behörden haben? Diese Frage habe ich bereits neulich anlässlich der Expo in Shanghai aufgeworfen. Die Expo wurde von etlichen deutschen Chinakorrespondenten als pompöser, kostspieliger Anachronismus gegeisselt. Der ebenso pompöse und kostspielige deutsche Beitrag zur Weltausstellung aber wurde von der Kritik genauso ausgespart, so wie ich auch noch nie – nur mal so zum Beispiel – eine Reportage über die Situation von Wanderarbeitern auf Baustellen deutscher Firmenzentralen in China gelesen habe.
Wie frei ist also die deutsche Presse wirklich? Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass sie freier als die chinesische ist, die sehr stark direkt vom Staat kontrolliert wird. Nicht ohne Grund rangiert Deutschland im Jahr 2010 auf der Pressefreiheits-Rangliste von „Reporter ohne Grenzen“ auf Platz 17, China aber auf Platz 171. Und sicher ist ein Mehr an Pressefreiheit in China im Interesse fast aller, die hier leben. Allerdings glaube ich auch, dass man sich in China keine Illusionen über die Pressefreiheit in Deutschland machen sollte. Auch diese grössere Freiheit ist nur eine relative, weil eben auch die deutschen Medien Interessen dienen und vertreten.
Zum Glück sind wir seit ein paar Jahren nicht mehr allein auf die grossen Massenmedien angewiesen, wenn es um die Verbreitung von Informationen und Meinungen geht. Seitdem es das Internet gibt, ist es nicht mehr so einfach, unbequeme Nachrichten zu unterdrücken. Das gilt für China ganz besonders. Hier sind die Blogger bereits eine echte Medienmacht. Es gilt aber auch für Deutschland. Dort ist die Bloggerszene noch schwächer. Trotzdem mussten die etablierten Medien auch hier bereits auf das Internet reagieren. Wir erleben es gerade in diesem Moment mit der Veröffentlichung der 250.000 US-amerikanischen Botschaftskabel durch Wikileaks, die vom Spiegel journalistisch begleitet wird. Ich bin überzeugt, dass diese Entwicklung weitergehen wird.
Selbstverständlich kann man auch nicht sämtlichen Informationen trauen, die über das Netz verbreitet werden. Ich glaube, man sollte eigentlich überhaupt jeder Information, die über Medien vermittelt wird, mit einem gewissen Misstrauen begegnen. Besser ist es, vermittelte Informationen – so weit es eben geht – selbst zu überprüfen. Das ist es, was ich meinen Freunden und Bekannten in Deutschland immer wieder sage: Glaubt nicht alles, was über China in unseren Zeitungen steht. Kommt her und seht es euch selber an. Umgekehrt sollten Sie – wenn es Ihnen möglich ist – sich auch selbst vor Ort ein Bild davon machen, ob das, was sie bisher über Deutschland so erfahren haben, auch tatsächlich richtig ist."
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Passend dazu dieser Bericht des Report aus Mainz
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