Donnerstag, 27. Oktober 2016

Ein Angriff auf die Freiheit; Schliessung der Sudbury Schule Ammersee

Es war hier schon einige male die Rede von der allgemeinen Diskriminierung von Kindern und Jugendlichen. Der Ort, an dem diese Diskriminierung so institutionalisiert ist wie nirgens sonst, ist unsere Schule. Mit der Schliessung der Sudbury Schule Ammersee wird diese Diskriminierung von Kindern und Jugendlichen durch unseren Staat offensichtlich.

Um so mehr die Vermarktwirtschaftlichung aller Lebensbereiche voranschreitet, um so mehr steigt der Druck der Anpassung an die Vorgaben einer aus dem Ruder gelaufenen Wirtschaft auf das Leben unserer Kinder und Jugendlichen. Der Zwang sich den Anforderungen eines zukünftigen Berufslebens anzupassen beginnt im dreigliedrigen Schulsystem schon in der Grundschule.  Lehrer, Eltern und vor allem Schüler werden gezwungen sich der Willkür eines Ausleseprozesses zu unterwerfen der die soziale Ungleichheit in unserer Gesellschaft zementiert wie keine andere Institution in diesem Land. Zahlreiche Studien belegen, dass dieser Ausleseprozess, in dem die Kinder in eine der drei Schulformen, Haupt-, Realschule oder Gymnasium, gezwungen werden, eher die soziale Herkunft von Kindern widerspiegelt als die angebliche Leistung.

Der neoliberale Mythos von der "Leistungsgerechtigkeit" scheitert an der Realität, dass gesellschaftliche Schichten in dem System Schule heute mehr denn je reproduziert werden. Eine Elite mit einem bildungsbürgerlichen Wertekatalog bestimmt über die Inhalte und Ziele der Schule und entscheidet über den "sozialen Aufstieg" oder das verbleiben in der Prekarität. Inhalte, Fähigkeiten und Begabungen die in der Lebenswirklichkeit bildungsferner und prekärer Schichten eine Rolle spielen haben in unserem Schulsystem keinen Platz. Förderung von sozial benachteiligten Gruppen findet so gut wie nicht statt.

Schule ist allen Bereichen ein hierarchischer, bürokratischer und seelenloser Apparat der vor allem die Unterwerfung unter seine Regeln einfordert. Maßstab des Lernens ist es in einer Welt zu Funktionieren die von wirtschaftlichen Interessen dominiert wird. Die Interessen der Kinder spielen in diesem Schulsystem keine Rolle, eben sowenig wie die der Eltern oder Lehrer. Viele bleiben auf der Strecke, noch mehr empfinden Schule als extremen Angriff auf ihre Freiheit und ihre Persönlichkeit. Messgrundlage des "Erfolges" der Schule und der Kinder sind angeblich "quantifizierbare, standardisierte  Leistungstests". Schüler werden zum "Erfolg" der Schule nicht befragt.

Diese Kritik ist beinahe so alt wie das Schulsystem selbst. Schon 1921 gründete A.S. Neil in England daher die berühmte Summerhill Schule mit einem völlig anderem pädagogischen Konzept. Summerhill ist Schule in der Schüler als Vollwertige Mitglieder einer Schulgemeinschaft alle Entscheidungen mit den Erwachsenen zusammen treffen und in der kein Zwang herrscht den sich Schüler nicht selbst auferlegen. Sie ist das Vorbild für alle Schulen in denen Kinder nicht diskriminiert werden so wie auch der "Sudbury Valley School" in Massachusetts USA, die seit 1968 existiert und die inzwischen viele Nachahmer gefunden hat (60 Weltweit).

Die Angriffe auf diese demokratischen Schulen sind überall die gleichen. Sie entziehen sich staatlicher "Leistungskontrolle" wodurch das Argument konstruiert wird, dass diese Schulen Kinder nicht auf die Erfordernisse der Gesellschaft vorbereiten. Ebenso lange existieren Studien die belegen sollen wie viele ehemalige Schüler der demokratischen Schulen eine erfolgreiche akademische Karriere verfolgt haben. Obwohl diese Statistiken für Sudbury Schulen oft besser sind als für die staatlichen Schulen in den jeweiligen Ländern, stellt sich die Frage nach dem Sinn dieses Maßstabs der Beurteilung.

Der US Wissenschaftler Prof. Peter Gray (Boston College) hat viele dieser Studien begleitet. Es ist aber ein Ergebnis seiner Studien, dass für mich jegliche Frage nach dem Für und Wieder demokratischer Schulen beenden sollte. Obwohl seit fast 100 Jahren Schüler und Schülerinnen aus demokratischen Schulen ins Leben entlassen wurden fand sich unter ihnen kein einziger Schüler oder Schülerin, der/die bereut hatte eine solche Schule besucht zu haben, alle befragten schilderten die Schulzeit als glückliche Erfahrung.

Fast hundert Jahre nach der Eröffnung der ersten freien Schule in England, hat 2014 eine solche Schule in Bayern ihre Pforten geöffnet. Es hat die Initiatorin der Sudbury Schule Ammersee, Monika Wernz,  acht Jahre ihres Lebens gekostet diese Projekt gegen die Bayerische Staatsregierung durchzusetzen. Jetzt nach nur zwei Jahren Betrieb hat die Staatsregierung die Schule per Gerichtsbescheid geschlossen. Die Gründe sind die gleichen wie immer. Auf die Forderung an die Schule durch das Kultusministerium, dass die Schüler standardisierte Test durchführen sollten um ihren Leistungsfortschritt überprüfen zu können, haben die Schüler in einer (anscheinend heiß diskutierten) demokratischen Abstimmung beschlossen dies zu verweigern.

Schüler, Eltern und Mitarbeiter der Schule sind entsetzt über die Schließung. Die Kinder Lieben ihre Schule, die Eltern sind mit der Entwicklung der Schüler zufrieden und die Mitarbeiter können endlich hinter ihrem Beruf stehen. Obwohl also alle Beteiligten ebenso wie die wissenschaftliche Begleitung die Schule verteidigen, wird diese Schule in einem staatlichen Willkürakt geschlossen, der Demokratie, Freiheit und Mitbestimmung mit den Füßen tritt.

Darf es kein Schulsystem geben, in dem die Unterwerfung unter staatliche Vorgaben nicht erfolgt? Darf es keine Schule geben in der demokratische Mitbestimmung ab der ersten Klasse praktiziert wird? Was ist unsere Schule? Ist sie ein Ort an dem Kinder lernen oder an dem sie gebrochen werden sollen?

Niemals war die Zukunft so ungewiss wie in unserer Gegenwart. Die Lösungen die wir in der Vergangenheit gefunden haben versagen auf ganzer Front. Welche Anforderungen kommen auf künftige Generationen zu? Wir wissen es nicht, aber es ist sicher nicht die Unterwerfung unter die Macht- und Profitinteressen weniger. Gerade Orte wie die Sudbury Schule Ammersee könnten genau die Fähigkeiten vermitteln mit denen künftige Generationen das Erbe bewältigen, dass unsere aus dem Ruder gelaufene Gesellschaft ihnen hinterlassen hat.



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