Die Angst der Greise
Angesichts der medialen Debatte um die Gewalt von Jugendlichen in Berlin wird mein Post über die Diskriminierung Jugendlicher im Nachhinein plötzlich hoch aktuell.
Schon wird von allerlei ängstlichen Greisen nach mehr Härte gegen jugendliche Gewalttäter gerufen. Wieder meldet sich Herr Pfeiffer zu Wort und kritisiert die "Haftverschonung" der Täter. Mich wundert, dass die Killerspieledebatte nicht ebenfalls wieder hochkocht.
Die Diskussion findet natürlich wieder ohne Beteiligung von Jugendlichen statt. Mit selbstgerechter Arroganz diskutieren die greisen Herren über Haftstrafen, Untersuchungshaft und Warnschussarrest.
Die Angst vor der Gewalt wird geschürt obwohl die Gewalt eigentlich rückläufig ist. Diskutanten im Forum der Zeit (ebenfalls beherrscht von Greisen) rufen nach dem Recht zum Tragen von Schusswaffen für ihre Selbstverteidigung und beschimpfen Junge Menschen als faul, gewalttätig und verwahrlost. Am liebsten, so hat man das Gefühl, würden viele eine ganze Generation gerne hinter Gittern sehen.
Vor einigen Jahren wurde in einigen Gemeinden der Schweiz eine Ausgangssperre für Jugendliche ab 22 Uhr verhängt. Ob die Herren Schünemann und Pfeiffer dies auch für Deutschland fordern werden bleibt abzuwarten. (Ich gebe zu, Herr Schünemann ist nur ein gefühlter Greis, da er sich seiner greisen Wählerschaft so gerne anbiedert..)
Was würden wir sagen wenn diese Form medialer Aggression sich gegen eine Minderheit, z.B. jüdische oder türkische Mitbürger oder gegen alte Menschen richten würde?
Ein respektvoller Umgang mit der Jugend
Das Beispiel der Rütli Schule in Berlin Neukölln zeigt was ein respektvoller Umgang mit Jugendlichen erreichen kann. Dazu muss es aber unserer Gesellschaft auch etwas Wert sein in die Erziehung der Kinder und Jugendlichen zu investieren.
In meinen vorherigen Post habe ich mich gegen Disziplin und Fleiß als Werte in unserem Schulsystem geäussert. Da bei uns in Deutschland Umfragen zeigen, dass die Vermittlung dieser Werte auch von vielen Eltern gefordert wird, stelle ich mich hier wiedereinmal gegen die vorherrschende Meinung und muss deshalb weiter ausholen.
Fleiß und Disziplin werden bei uns immer noch als Vorraussetzung für einen erfolgreichen Einstieg ins Arbeitsleben gesehen. Dies geht meiner Ansicht nach vollständig an der Realität vorbei. In meinem Berufsleben sind Teamfähigkeit, Kreativität, Wissbegierde, Kommunikationsfähigkeit und Flexibilität gefordert. Nichts von alldem wurde mir in der Schule vermittelt. Tatsächlich sind diese Eigenschaften in einer Schullaufbahn eher hinderlich.
Disziplin?
Disziplin wird bei uns verstanden als die Unterordnung unter die Autorität einer einzigen Führungsperson, dem Lehrer, und einer staatlichen Instanz, der Schule. Diese Autoritäten dürfen nicht in Frage gestellt werden und das aufbegehren gegen sie wird hart bestraft. Die Möglichkeiten der Mitwirkung sind gleich Null.
Diese Form der Disziplin brauchen wir weder in modernen Unternehmen noch in unserem Staat. Wir brauchen eine zugleich offenere als auch strengere Form der Disziplin. Wir benötigen ein Bewusstsein, dass man sich einem Konsens oder einem demokratischen Kompromiss in einer Gruppe, Klasse oder einem Team unterwirft von dem möglichst alle profitieren.
Anstatt stiller Unterwürfigkeit vor der Autorität des Lehrers müssen wir bei Schülern das Bewusstsein fördern, dass das eigene Verhalten in der Klasse die Leistungsfähigeit aller Mitschüler beeinflusst. Schüler sollten nicht aufmerksam sein weil es der Lehrer will, sondern weil es dem Lernen der anderen Schüler Förderlich ist.
Diese Form der Disziplin kann nur durch beständige Gruppenarbeit erreicht werden. Die Verantwortung für einen Lernerfolg liegt bei Lehrern und Schülern gemeinsam. Der Unterricht muss die Folge einer Beteiligung der Schüler an der Form und dem Inhalt des Unterrichts sein. Die (Einzel)Interessen, die Schwächen und Stärken und der Wille der Schüler muss Ernst genommen werden.
Disziplin darf keine Folge von Angst sein sondern von eigenem Interesse und der Einsicht, dass eine sozialgemeinschaft Disziplin von individuen benötigt. Wer aus Angst vor Autorität sich scheinbar diszipliniert verhält ist nicht sozialisiert.
Fleiß?
Fleiß sollte in einer Schule eine möglichst untergeordnete Rolle spielen. Fleiß (oder Selbstdisziplin) muss man aufbringen wenn man Dinge lernen soll die man eigentlich nicht lernen will. Manchmal ist das vielleicht unumgänglich meist jedoch sehr ineffizient. Viel wichtiger als Fleiß ist die Lust am Lernen. Wissensdurst hat nichts mit Fleiß zu tun sondern ausschliesslich mit Motivation.
Ich war ein extrem unmotivierter Schüler. Meinen Wissensdursst musst ich abseits der Schule befriedigen. Die knochentrockenen Lehrpläne und die willkürlichkeit der Benotung schafften es mir jegliche Lust am Lernen auszutreiben. Allein aus Angst (wenn überhaupt) lernte ich lateinische Vokabeln, die Angst vor meinem Lateinlehrer verhinderte jedoch ein effizientes Lernen. Ein vollkommen schizophrener Zustand. Ich weiss heute nichts mehr über Latein.
Man muss sich bemühen um jungen Menschen die Lust am Lernen zu verleiden. Unsere Schule hatte in diesem Bemühen bei mir einen großen Erfolg. Schule war für mich psychologische Folter. Es hätte nicht viel gefehlt und ich wäre für immer aufs gesellschaftliche Abseits gestellt worden. Meine Hochschulreife erlangte ich trotz Schule, nicht durch sie.
Während meine Lehrer mir sagten "Du hast nicht das Zeug fürs Abitur" konnte ich kurze Zeit später im Physikstudium Bestnoten aufweisen.
Seit meiner Schulzeit gab es blinden Aktionismus aber kein wirkliches Umdenken. Im Wesentlichen hat sich nichts geändert. Reformen wurden immer nur auf Kosten der Lehrer ausgetragen. Die Ausbildung der Jugend ist uns immer weniger Geld Wert.
In der Psychologie und Pädagogik hat sich in den letzten 100 Jahren einiges getan. Warum ähnelt unser Schulsystem immer noch dem zum Anfang des 20 Jh? Es ist ein einziges Trauerspiel.
Zu Teamfähigkeit, Kreativität, Wissbegierde, Kommunikationsfähigkeit und Flexibilität:
All diese Grundvoraussetzungen für das erfolgreiche Arbeiten in einem Team musste ich mir nach der Schule aneignen. In meiner Branche, der Softwareentwicklung, macht man sich schon seit Jahren Gedanken darüber, wie komplexe Projekte zu Bewältigen sind. Es hat sich gezeigt, dass hierarchische Strukturen nicht in der Lage sind effizient IT Projekte zu meistern.
Statt dessen wurde in der IT ein "Vorgehensmodell" entwickelt das gänzlich auf Hierarchien verzichtet. Die Rede ist vom "extreme Programming". Dieses Vorgehensmodell wurde unter dem Namen SCRUM auch von anderen Branchen übernommen. Im wesentlichen bearbeitet in beiden Modellen ein Team von selbstverantwortlichen Experten gemeinsam ein Projekt in Auftrag eines "Project Owners".
Es gibt keinen "Projektleiter" usw. Die Größe des Teams darf 20 Mitarbeiter nicht überschreiten sonst ist effizientes arbeiten nicht möglich. In Schulklassen glauben wir dagegen mit 35 Schülern einen effizienten Unterricht halten zu können.
Ich habe auch schon in kleinen Handwerksbetrieben gearbeitet. Diese machen sich keine solchen Gedanken über Vorgehensmodelle, gehen aber grundsätzlich genauso vor. Nicht einmal unser Militär ist noch an reinen Befehlempfängern interessiert.
Schlußendlich ist eine Demokratische Gesellschaft auch nur möglich wenn wir Bürger haben die aktiv in ihr Mitgestalten wollen.
Warum schaffen wir es nicht unsere Schule endlich an die Anforderungen in unserem Arbeitsleben anzupassen?
Wenn wir nicht in den Schulen die Teamarbeit fördern wo sonst?
Wenn wir nicht in der Schule die Demokratie leben, wie sollen Schüler Demokratie wertschätzen lernen?
Wer glaubt davon Profitieren zu können, dass der Großteil der Bevölkerung in von Angst bestimmten, stillen Gehorsam lebt?
Bitte Bearbeiten sie diese Denkaufgabe zu Hause. In der nächsten Unterrichtsstunde können wir über ihre Antworten Diskutieren. Viele Dank!
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